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Wonach fragt das Fragment?

Rede von Claudia Törpel zu den Arbeiten von Sandra Schmidt

Als ich über die Bedeutung des Wortes „Fragment“ nachsann, kam mir zunächst die Idee, es könne etwas mit dem „Fragen“ zu tun haben: Frag-ment. Ich habe dann im etymologischen Wörterbuch nachgeschlagen, dies dort aber nicht bestätigt gefunden. Fragment hat also vom Wortstamm her nichts mit dem Fragen zu tun, sondern kommt von dem lateinischen Wort „frangere“ – brechen. Frangere – brechen, – also eine zerteilende Tätigkeit. Trotzdem fand ich meinen Gedanken gar nicht so falsch, dass das Fragment etwas mit der Frage zu tun hat, denn: Jedes Bruchstück, jedes Teil fragt ja doch (bzw. löst die Frage aus) nach den ihm fehlenden Teilen, also nach dem, was seine Ganzheit letztlich ausmacht.

Aber was ist dieses „Ganze“? Wann empfinden wir etwas als fragmenthaft? Wann als ganz? Als „heil“?

Vielleicht ist da ja zunächst nur eine kleine Verletzung, die uns unerheblich scheint. Aber was, wenn diese Verletzung größer wird, zur klaffenden Wunde vielleicht, oder schließlich zur Verstümmelung und Verkrüppelung? Ja, wenn irgendwann vielleicht der ursprüngliche Gegenstand oder Körper kaum oder gar nicht mehr wiederzuerkennen ist? Und dann auch die Frage: Wie entsteht überhaupt ein Ganzes.

Sandra Schmidt arbeitet mit Fragmenten. In ihren Bildern kommen „Teilgestalten“ vor – mitunter nur aus einer Gliemaße, z.B. einem Fuß mit Kopf –, die dennoch etwas für sich bestehendes sind und die wie Seelengesten erscheinen, die auf komplexe Gefühlszustände hinweisen.

Das Fragmentartige dieser Bilder bezieht sich aber nicht nur auf die Figuren und Motive, sondern auf die gesamte Bildgestaltung: Sie setzen sich zusammen aus verschiedenen Schichten gerissenen Papiers, teilweise beschriftet, teilweise übermalt, bekleckst, bekritzelt, und teilweise durchscheinend, so dass der Blick frei wird für tieferliegende Schichten.

Auseinandergerissenes (und damit seines ursprünglichen Zusammenhanges Enthobenes) formiert sich neu auf dem Hintergrund älterer Strukturen, deren Überreste jedoch nicht ganz verschwinden, sondern hindurchscheinen, teilweise verdeckt und nur als vage Ahnung vorhanden, aber mitagierend im Prozeß des Sich-Findens von Strukturen. Sobald etwas Neues auftaucht oder sich verändert oder neue Verbindungen eingeht, muß das Auswirkungen auf das gesamte Bildgefüge haben; jedes neue Element stellt Altes in Frage, verwirft es oder greift es auf und stellt es in einen neuen Zusammenhang. Und jedes Geschehen hinterläßt Spuren und wirkt im Verborgenen weiter.

Das Geheimnis dieser Bilder besteht im Finden sensibler Übergänge. Übergänge zwischen Farbflächen und Oberflächenstrukturen, aber auch Übergänge zu tiefer liegenden Ebenen und den darin entstehenden Lichträumen. Übergänge auch zu gedanklichen Elementen, dokumentiert in Form undeutlich gewordener Schriftfragmente.

Das Fragment, entstanden durch einen Bruch oder einen Riss, – es wird von seinem Leiden befreit, sobald es in Beziehung gesetzt wird, denn gerade in seiner Zerrissenheit und Einseitigkeit wird es beziehungsfähig. Das Vollkommene steht für sich, es kommuniziert nicht. Das Fehlerhafte und Unfertige hingegen ist das eigentlich Lebendige, so dass ein organisches Verweben unterschiedlicher Komponenten – stofflicher, seelischer und ideeller Art – stattfinden kann, verflochten in ein spezifisches Raum- und Zeitgefüge.

Es ist eine Welt aus Beziehungen, und es geht um die vielfältigsten Beziehungsmöglichkeiten verschiedenster Gestaltungselemente, die aber immer nur momenthaft existieren können, weil sie den ständigen Werdeprozeß voraussetzen, dem alles Lebendige unterliegt. In diesen Bildern liegt eine permanente Aufforderung zur Entwicklung, immer auf der Suche nach einer vorübergehenden Einheit, unfertig in ihren Einzelheiten und doch widerum fertig als Ganzes, wenn es als ein kurzer Augenblick innerhalb eines großen Entwicklungsprozesses eingefangen wird. In seiner Zeitbezogenheit stellt das Bild (oder sogar mehrere, denn bei Sandra Schmidt beziehen sich häufig zwei oder mehr Bilder aufeinander) selbst einen Übergang dar. Einen Übergang zwischen Gewordenem und Werdendem, aber auch einen Übergang zwischen Chaos und Erstarrung, in die es hineinrutschen würde, wenn man es sich selbst überließe, wenn es nicht gehalten würde von der darin anwesenden schöpferischen Kraft, von einem unermüdlichen, immer präsenten Schöpferwillen.

Claudia Törpel, Berlin



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